Ausgrabungscafé

Weiße Wände, weiße Tischdecken, weiße Gedecke, weiße Lilien, ein weiß angestrichenes Fahrrad mitten auf dem Tisch; der Bräutigam in Weiß, die Braut in Schwarz, Jagdhornbläser in Lodengrün, blond gefärbte Haare, Sonnenbrillen auf den Nasen; Halali, die Braut ist tot, die Hatz zu End, grölt die Gesellschaft.

(Gruselkabinett)

Irina stößt mich unter dem Tisch an.

Das soll eine Hochzeit sein? Laß uns verschwinden.

(Schulterzucken)

Das Essen nehmen wir noch mit.

Hühnersuppe mit Einlage, dreierlei Fleisch, dreierlei Kartoffeln, fünferlei Gemüse, Eis mit heiß.

Einen Kaffee zur Verdauung?

(der Ober mit der weißen Weste)

(noch ein Tritt gegen meinen Knöchel)

Jetzt aber los!

Wohin?

Zum Ausgrabungscafé, da ist viel schöner und wir sind für uns.

(unschlagbares Argument)

Wo soll das sein?

Am Osterberg. Kennst du doch.

Da ist nur Sand.

Du wirst schon sehen.

Muß i denn, muß i denn, zum Städele hinaus, die Lodengrünen, als wir die Gesellschaft verlassen, Gejohle und Schenkelklopfen hinter uns her.

Der Osterberg, ein Hügel, vielleicht zehn Meter hoch, ein Steilhang aus Sand, auf der Kuppe wachsen noch Kiefern, abgenagtes Wurzelwerk bloßgelegt, das Gelände unten eingezäunt, grau-morsche Pfähle, verrosteter Hühnerdraht, eine Baracke inmitten schmutzig gelbbraunen Sands, an der Tür ein Pappschild: AUSGRABUNGSCAFÉ in Großbuchstaben.

Auf halber Höhe am Hang rüttelt ein alter Mann im Glitzeranzug Sand durch ein Gärtnersieb.

(Bukowski? Burroughs? Beuys?)

Triumphierend winkt er uns mit drei Flaschen, die er zwischen den Fingern seiner rechten Hand eingeklemmt hat.

Ho, ho, ho! Gerade rechtzeitig.
Es hat sich wieder mal gelohnt.

Irina winkt zurück.

Gehen Sie schon mal rein.

Drinnen rohe Bretterwände, zwei Tische mit chinesischen Flaggen als Decken, der Wasserkessel pfeift, eine Theke aus Sägeböcken und Schalbrettern, drei Blechtassen, drei Schnapsgläser, eine Colaflasche, ein Glas mit Instant-Kaffee, ein zum Dach geknicktes Pappschild: BITTE! die Ausstellungsstücke nicht berühren!

Die Wände übersät mit ausgestanzten weißen Plastikfiguren, flache Reliefs, Tierund Menschenskelette, einzelne Knochen, Totenschädel, Genitalien, eine Guillotine, ein Galgen, eine Kalaschnikow, Molotow-Cocktails, Porträts: Marx, Engels, Lenin, Bakunin, Stirner, Reich, Bessie Smith, Screamin‘ Jay Hawkins, Judy Henske, Howlin‘ Wolf, Kinski mit der Peitsche, Isabelle Huppert; und kopulierende Paare, immer wieder kopulierende Paare, in allen Stellungen, die sich die Menschheit seit Anbeginn der Zeit ausgedacht hat.

Nur für uns.

(mit einem Lächeln wie die Mona Lisa)

KönnenSe kaufen, siebenundneunzig fünfzig pro Stück.

(ratloser Blick in den Leerraum zwischen Guillotine und Galgen)

(für diesen Plastikramsch?)

Wollen Sie mich beleidigen? Das habe ich alles eigenhändig ausgebuddelt, mühsam dem Sand der Zeit entrissen.

(du kannst mir viel erzählen)

Das ist Kitsch, schlimmer als Kuckucksuhren und Plastikgeschirr aus der Ukraine, Figuren, Abbilder nur, ebenso wie die Pfeife auf dem Bild von Magritte keine Pfeife ist, nur das Bild einer Pfeife; eine Plastikwelt, billiger Ersatz für die wirkliche und für das Leben. Spielzeug. Müll.

(Tadel im Blick des Alten)

Haben Sie schon mal eine angefaßt?

(will der mich verarschen?)

Die können mit Ihnen sprechen, oh, ja, sich Ihnen mitteilen, in Ihnen lebendig werden, ein Klotz, der das nicht spürt … fahren Sie mal mit den Fingerkuppen drüber, sanft und zart … dann schwingt es aus diesen Artefakten in Sie hinein; wie damals, als sie in der Krähe auf dem Findling gesessen und die heiße Lava an Ihren Arschbacken gespürt haben, aus der er geboren wurde.

(woher wußte er?)

… genau, Vibrations, Alter, Vibrations, Sie erinnern sich doch noch?

(nur zu gut)

Es ist wie in einem Roman, den sie lesen – Sie lesen doch? – da teilen sich Ihnen die Figuren durch die Schriftzeichen mit, beginnen, in Ihnen lebendig zu werden.

(jetzt trägt es den Alten aber komplett aus der Kurve)

Hier, kommen Sie, erspüren Sie es, eingefangen für Sie allein aus dem Sand der Zeit … na, bereit sie zu befragen? … los, nur drei Schritte … keine Bange, sie beißen nicht.

(was soll der Zirkus?) (was bezweckt er damit?)

Ah! Berührungsängste. Allergisch gegen sich selbst?

(kneif mich, kneif mich, dann zerstiebt das alles hier und es bleibt nur dieser schale Geschmack im Mund)

Na, los!

(warum stehe ich jetzt eigentlich auf?)

Stopp! Erst zahlen! Siebenundneunzig fünfzig pro Figur.

Der Alte hält mir eine leere Blechbüchse hin, Ravioli in Tomatensoße. Ich setze mich wieder.

Vielleicht erst mal einen Kaffee?

Irina nickt und lächelt.

(die himmelt ihn tatsächlich an)

Der Alte schraubt das Glas auf, einen gehäuften Teelöffel in jede der Blechtassen, schüttelt den Kopf, noch einmal je eine Löffelspitze dazu, gießt mit sprudelnd kochendem Wasser auf.

So. Sieben fünfzig pro Tasse, macht zweiundzwanzig fünfzig zusammen.

(dafür?)

Ja. Kaffee ist grundsätzlich Pulver in Wasser gerührt.

(Kaffee, gute Güte, billigste Instantplörre vom Aldi und für den Alten soll ich auch noch mitbezahlen)

Schampus ist leider aus, junger Mann, das wäre hier und jetzt gerade so eben angemessen für die Dame und Sie, da stimmen Sie mir doch zu, oder?

(wieviel der wohl bei ihm kostet?)

Ich kann Ihnen noch das Arno-Schmidt-Gedeck anbieten: Glas Cola mit drei Teelöffeln Kaffee verrührt und einen doppelten Alte Kanzlei dazu, vorhin nur für Sie ausgebuddelt, der macht müde Männer munter.

Er hebt triumphierend drei Flaschen in die Höhe.

Siebzehn fünfzig pro Gedeck; ich nehme natürlich auch eins.
Oder für jeden von uns eine Flasche Müller-Thurgau, wie ihn Bukowski damals achtundsiebzig in Hamburg gesüffelt hat.

Er hält mir dieselben leeren Flaschen vor die Nase.

Besonders rar. Nur achtundvierzig achtundneunzig pro Flasche.

Jetzt ist aber Schluß. Endgültig. Mir Plastik-Kitsch als Welt andrehen wollen, dazu diese Plörre und Billigfusel zu Mondpreisen wie im Sternerestaurant; wenn Sie reich werden wollen, machen Sie doch in Bitcoins.

Nun aber halblang, junger Mann, ich reiß mir hier den Arsch auf für Sie und buddele und buddele und siebe und siebe und Sie …

Er japst.

Sie wollen alles umsonst. Gratiskultur. KönnenSe haben. Alles hier. Den ganzen Klumpatsch. Ohne einen Pfennig dazu zu bezahlen. Ich lasse Ihnen alles hier und gehe. Dann sind Sie der Gelackmeierte.

Er wiehert.

An diesen Ort gefesselt, bis der nächste kommt.

Er zieht sich den Glitzeranzug aus. Feinripp mit langen Unterhosen darunter.

Der gehört dazu. Viel Vergnügen noch.

Er läuft lachend aus der Baracke, mit federnden Schritten den Hang hinauf und verschwindet zwischen den Kiefern. Irina rennt hinterher, lachend, wirft ihre Kleidung von sich, mit einem Hechtsprung in den Sand und wühlt sich ein.

Na, los, grab mich aus; deshalb sind wir doch hier.

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