Als Joey Ramone eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einer Rex-Gildo-Musikkassette verwandelt.
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Als Joey Ramone eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einer Rex-Gildo-Musikkassette verwandelt.
Beim Wäscheaufhängen an beiden Ende der Leine und zwischen den Stücken kleine Zeitportionen befestigen. Das beschleunigt den Trockenprozeß.
Endlich darf sich der deutsche Gartenzwerg wieder als Krone der Schöpfung begreifen.
Auf der Hüpfburg fühlte sich Graf von Krolock plötzlich wieder jung und vergaß für ein paar Minuten, daß er schnell frisches Blut brauchte.
Nur lobende Worte für diese Einrichtung fand Pfarrer Leitmayr von der Pankratiusgemeinde nach dem Besuch des Bordells in der Erlauer Straße.
Weiße Wände, weiße Tischdecken, weiße Gedecke, weiße Lilien, ein weiß angestrichenes Fahrrad mitten auf dem Tisch; der Bräutigam in Weiß, die Braut in Schwarz, Jagdhornbläser in Lodengrün, blond gefärbte Haare, Sonnenbrillen auf den Nasen; Halali, die Braut ist tot, die Hatz zu End, grölt die Gesellschaft.
(Gruselkabinett)
Irina stößt mich unter dem Tisch an.
Das soll eine Hochzeit sein? Laß uns verschwinden.
(Schulterzucken)
Das Essen nehmen wir noch mit.
Hühnersuppe mit Einlage, dreierlei Fleisch, dreierlei Kartoffeln, fünferlei Gemüse, Eis mit heiß.
Einen Kaffee zur Verdauung?
(der Ober mit der weißen Weste)
(noch ein Tritt gegen meinen Knöchel)
Jetzt aber los!
Wohin?
Zum Ausgrabungscafé, da ist viel schöner und wir sind für uns.
(unschlagbares Argument)
Wo soll das sein?
Am Osterberg. Kennst du doch.
Da ist nur Sand.
Du wirst schon sehen.
Muß i denn, muß i denn, zum Städele hinaus, die Lodengrünen, als wir die Gesellschaft verlassen, Gejohle und Schenkelklopfen hinter uns her.
Der Osterberg, ein Hügel, vielleicht zehn Meter hoch, ein Steilhang aus Sand, auf der Kuppe wachsen noch Kiefern, abgenagtes Wurzelwerk bloßgelegt, das Gelände unten eingezäunt, grau-morsche Pfähle, verrosteter Hühnerdraht, eine Baracke inmitten schmutzig gelbbraunen Sands, an der Tür ein Pappschild: AUSGRABUNGSCAFÉ in Großbuchstaben.
Auf halber Höhe am Hang rüttelt ein alter Mann im Glitzeranzug Sand durch ein Gärtnersieb.
(Bukowski? Burroughs? Beuys?)
Triumphierend winkt er uns mit drei Flaschen, die er zwischen den Fingern seiner rechten Hand eingeklemmt hat.
Ho, ho, ho! Gerade rechtzeitig.
Es hat sich wieder mal gelohnt.
Irina winkt zurück.
Gehen Sie schon mal rein.
Drinnen rohe Bretterwände, zwei Tische mit chinesischen Flaggen als Decken, der Wasserkessel pfeift, eine Theke aus Sägeböcken und Schalbrettern, drei Blechtassen, drei Schnapsgläser, eine Colaflasche, ein Glas mit Instant-Kaffee, ein zum Dach geknicktes Pappschild: BITTE! die Ausstellungsstücke nicht berühren!
Die Wände übersät mit ausgestanzten weißen Plastikfiguren, flache Reliefs, Tierund Menschenskelette, einzelne Knochen, Totenschädel, Genitalien, eine Guillotine, ein Galgen, eine Kalaschnikow, Molotow-Cocktails, Porträts: Marx, Engels, Lenin, Bakunin, Stirner, Reich, Bessie Smith, Screamin‘ Jay Hawkins, Judy Henske, Howlin‘ Wolf, Kinski mit der Peitsche, Isabelle Huppert; und kopulierende Paare, immer wieder kopulierende Paare, in allen Stellungen, die sich die Menschheit seit Anbeginn der Zeit ausgedacht hat.
Nur für uns.
(mit einem Lächeln wie die Mona Lisa)
KönnenSe kaufen, siebenundneunzig fünfzig pro Stück.
(ratloser Blick in den Leerraum zwischen Guillotine und Galgen)
(für diesen Plastikramsch?)
Wollen Sie mich beleidigen? Das habe ich alles eigenhändig ausgebuddelt, mühsam dem Sand der Zeit entrissen.
(du kannst mir viel erzählen)
Das ist Kitsch, schlimmer als Kuckucksuhren und Plastikgeschirr aus der Ukraine, Figuren, Abbilder nur, ebenso wie die Pfeife auf dem Bild von Magritte keine Pfeife ist, nur das Bild einer Pfeife; eine Plastikwelt, billiger Ersatz für die wirkliche und für das Leben. Spielzeug. Müll.
(Tadel im Blick des Alten)
Haben Sie schon mal eine angefaßt?
(will der mich verarschen?)
Die können mit Ihnen sprechen, oh, ja, sich Ihnen mitteilen, in Ihnen lebendig werden, ein Klotz, der das nicht spürt … fahren Sie mal mit den Fingerkuppen drüber, sanft und zart … dann schwingt es aus diesen Artefakten in Sie hinein; wie damals, als sie in der Krähe auf dem Findling gesessen und die heiße Lava an Ihren Arschbacken gespürt haben, aus der er geboren wurde.
(woher wußte er?)
… genau, Vibrations, Alter, Vibrations, Sie erinnern sich doch noch?
(nur zu gut)
Es ist wie in einem Roman, den sie lesen – Sie lesen doch? – da teilen sich Ihnen die Figuren durch die Schriftzeichen mit, beginnen, in Ihnen lebendig zu werden.
(jetzt trägt es den Alten aber komplett aus der Kurve)
Hier, kommen Sie, erspüren Sie es, eingefangen für Sie allein aus dem Sand der Zeit … na, bereit sie zu befragen? … los, nur drei Schritte … keine Bange, sie beißen nicht.
(was soll der Zirkus?) (was bezweckt er damit?)
Ah! Berührungsängste. Allergisch gegen sich selbst?
(kneif mich, kneif mich, dann zerstiebt das alles hier und es bleibt nur dieser schale Geschmack im Mund)
Na, los!
(warum stehe ich jetzt eigentlich auf?)
Stopp! Erst zahlen! Siebenundneunzig fünfzig pro Figur.
Der Alte hält mir eine leere Blechbüchse hin, Ravioli in Tomatensoße. Ich setze mich wieder.
Vielleicht erst mal einen Kaffee?
Irina nickt und lächelt.
(die himmelt ihn tatsächlich an)
Der Alte schraubt das Glas auf, einen gehäuften Teelöffel in jede der Blechtassen, schüttelt den Kopf, noch einmal je eine Löffelspitze dazu, gießt mit sprudelnd kochendem Wasser auf.
So. Sieben fünfzig pro Tasse, macht zweiundzwanzig fünfzig zusammen.
(dafür?)
Ja. Kaffee ist grundsätzlich Pulver in Wasser gerührt.
(Kaffee, gute Güte, billigste Instantplörre vom Aldi und für den Alten soll ich auch noch mitbezahlen)
Schampus ist leider aus, junger Mann, das wäre hier und jetzt gerade so eben angemessen für die Dame und Sie, da stimmen Sie mir doch zu, oder?
(wieviel der wohl bei ihm kostet?)
Ich kann Ihnen noch das Arno-Schmidt-Gedeck anbieten: Glas Cola mit drei Teelöffeln Kaffee verrührt und einen doppelten Alte Kanzlei dazu, vorhin nur für Sie ausgebuddelt, der macht müde Männer munter.
Er hebt triumphierend drei Flaschen in die Höhe.
Siebzehn fünfzig pro Gedeck; ich nehme natürlich auch eins.
Oder für jeden von uns eine Flasche Müller-Thurgau, wie ihn Bukowski damals achtundsiebzig in Hamburg gesüffelt hat.
Er hält mir dieselben leeren Flaschen vor die Nase.
Besonders rar. Nur achtundvierzig achtundneunzig pro Flasche.
Jetzt ist aber Schluß. Endgültig. Mir Plastik-Kitsch als Welt andrehen wollen, dazu diese Plörre und Billigfusel zu Mondpreisen wie im Sternerestaurant; wenn Sie reich werden wollen, machen Sie doch in Bitcoins.
Nun aber halblang, junger Mann, ich reiß mir hier den Arsch auf für Sie und buddele und buddele und siebe und siebe und Sie …
Er japst.
Sie wollen alles umsonst. Gratiskultur. KönnenSe haben. Alles hier. Den ganzen Klumpatsch. Ohne einen Pfennig dazu zu bezahlen. Ich lasse Ihnen alles hier und gehe. Dann sind Sie der Gelackmeierte.
Er wiehert.
An diesen Ort gefesselt, bis der nächste kommt.
Er zieht sich den Glitzeranzug aus. Feinripp mit langen Unterhosen darunter.
Der gehört dazu. Viel Vergnügen noch.
Er läuft lachend aus der Baracke, mit federnden Schritten den Hang hinauf und verschwindet zwischen den Kiefern. Irina rennt hinterher, lachend, wirft ihre Kleidung von sich, mit einem Hechtsprung in den Sand und wühlt sich ein.
Na, los, grab mich aus; deshalb sind wir doch hier.
Einmal haben wir oben eine Gemse gesehen und sind den Berg hinauf. Aber aus der Nähe war es nur ein Stück Käse. War das ein Abenteuer.
»Guten Morgen«, knurrte Onkel Gerd, hämmerte auf den Blecheimer mit Grafschafter Goldsaft ein, bis der Rübensirup gegen den Küchenschrank spritzte, und befahl: »Ablecken!«
»Ein Klo kann eine Heimat sein«
(zu singen nach der Melodie von Rainer Pietsch)
(die deutscheste aller Hymnen, die je auf einem Grand Prix geschmettert wurde)
»Ein Scheißhaus kann eine Heimat sein.«
Das hat keinen Rhythmus und keine Melodie. Das kann man nicht singen. Das ist Alltagsprosa. So lapidar wie möglich zu sprechen. Nebenbei. Wie die Verrichtung.
SCHEISZHAUS, Schithus, Neutrum, Kloake, Merdatorium, Tristega Forica; wofür die verhüllenden Ausdrücke Abort, Abtritt, in älterer Sprache heimliches Gemach, oder nur das Gemach, Sekret, Privet, heimlicher Ort und ähnliches üblich sind, in neuerer Sprache WC, Toilette, Klosett, Klo.
Mein Vater sagte nie Klo, nur Scheißhaus, einfach Scheißhaus; vielleicht noch, wenn Besuch da war: wo der Kaiser zu Fuß hingeht.
Durch die Waschküche hindurch links hinter dem Schweinekoben und dem Verschlag für unsere zehn Hühner, das linke Nest der Lieblingsschlafplatz unserer Katze Elke: das Plumpsklo mit einer Jauchegrube dahinter. Rechterhand ein Gang: ein Meerschweinchenkäfig, Fahrräder, ein Anhänger, das Moped meines Vaters, eine rote NSU-Weltmeister; einen halben Meter hinunter ein ehemaliger Stall für ein oder zwei Kühe, in dem Torf, Brennholz und Briketts lagerten und der Schäferhund angebunden war
Immer, wenn jemand »Scheißhaus« sagt, wird mir warm ums Herz. Das ist der Klang der Heimat in der Heimat: die Abgeschiedenheit, das Dritteldunkel, die von keinem Desinfektionsmittel verätzten vertrauten Gerüche, vom ausgeblichenen Holz des Sitzes mit seinen von der Zeit abgerundete Kanten, von den Zeitungsfetzen, die als Arschabwisch dienten.
Rodrigo Borgia, besser bekannt als Alexander VI:, genoß den Luxus eines Bediensteten, der dieses Geschäft an ihm per manum erledigte.
Rabelais behauptet in »Gargantua und Pantagruel«, es gebe keinen besseren Arschwisch als ein flaumiges junges Gänschen: »… wenn man es nämlich so faßt, daß ihm der Kopf zwischen die Beine zu liegen kommt. Ihr könnt mir das auf Ehre und Gewissen glauben. Die Weichheit des Flaums wie die natürliche Wärme des Tiers tun dem Arschloch ganz besonders wohl, welches Gefühl sich dann sofort dem Mastdarm und den übrigen Eingeweiden mitteilt und von da zu Herz und Hirn weiterdringt.«
Gegenüber diesen beiden dekadenten Varianten hatten die Zeitungsfetzen auf unserem Plumpsklo einen gewaltigen Vorteil: ich konnte sie lesen.
Alte Zeitungen landeten bei uns auf dem Scheißhaus oder zum Anmachen im Kohleofen; das tat mir in der Seele weh, weg, hinüber, jede Zeile, die ich noch nicht gelesen hatte, für immer in Rauch aufgegangen, perdu, mir ein für alle Mal vorenthalten; ich mußte schneller sein, wenn ich auf dem Klo saß, erst einmal alles lesen, ertrank es in der Jauchegrube, war es zu spät.
»Den ganzen Tach aufm Scheißhaus sitzen und lesen. Was soll aus dem Jungen bloß werden?«
Meine Sozialisation als Leser hat sich auf dem alten Plumpsklo hinterm Hühnerstall abgespielt, sie begann Ende März 1956, zwei Wochen vor meinem ersten Schultag. Die Fibel lag auf dem Küchentisch, Hans und Lotte, mein Vater mußte mich in das Geheimnis der Zeichen einführen, die Geschichten erzählen konnten, ich quengelte, bis er es tat.
Von diesem Tag an las ich alles, was mir in die Finger kam, Haferflockenpackungen, die Rundfunkzeitung, Hören und Sehen, die Bücher vom Lesering im Bücherschrank. »Wie Feuer unter meinen Nägeln« hieß der Fortsetzungsroman in der Hören und Sehen, den ich nicht lesen sollte, ich sei noch zu jung dafür, so etwas entschied meine Mutter, das beflügelte mich erst recht. Von da an nahm ich alles, was eventuell nicht altersgemäß sein konnte, mit aufs Scheißhaus und las es da – in aller Ruhe.
Meine Eltern sortierten die Bücher, die ich nicht lesen durfte und die gerade deshalb meine Neugier weckten, nach unten rechts im Schrank außerhalb des Sichtfelds der Türverglasung: Norman Mailer, Die Nackten und die Toten, Remarque, Im Westen nichts Neues, Dantes Göttliche Komödie, mit der konnte ich mit neun oder zehn noch nichts anfangen, bei den anderen nicht verstehen, warum sie nichts für mich sein sollten.
So wurde das Scheißhaus der Ort, an dem sich mir die wirkliche Welt öffnete, die erbärmliche, die Niederungen, wo man knietief watet, manchmal bis zum Hals, in dem Unflat, aus dem sie geformt wurde, diese Welt.
Die Selbstverwirklichung des Menschen kann es nur auf dem Klo geben. Es darf aber niemand gegen die Türe wummern und die Muße stören.
Rex Gildo stürzte sich aus dem Fenster, als die Polizei an die Lokustüre pochte und ihn aufforderte, aufzumachen, ich gehe regelmäßig in die Luft, wenn ich gerade gemütlich dasitze, vor mich hin sinniere und irgendjemand wagt es, zu klingeln.
Etzold schiß damals grundsätzlich nur bei offener Tür und unterhielt sich mit der gesamten WG, gut, der ist kein Maßstab, der hat inzwischen Sarrazin auf dem Nachttisch liegen und schickt mir regelmäßig Videos mit irgendwelchem Verschwörungskram. Überhaupt, gemeinschaftliches Scheißen, auf dem pfadfinderischen bzw. soldatischen Donnerbalken, dabei auch noch zu rauchen oder einen Joint kreisen zu lassen und Latrinenparolen zu verbreiten, das ist nichts für unsereinen.
Negotium conficere, sein Geschäft verrichten, heißt es auf Lateinisch. Im alten Rom waren öffentliche Latrinen üblich, wo die Toilettengänger in geselliger Runde zusammensaßen und gemütlich miteinander plauderten. Für die Oberschicht gab es spezielle Luxuslatrinen inklusive Marmorsitzen und Fußbodenheizung. In dieser Atmosphäre hat man nicht nur sein großes oder kleines Geschäft verrichtet, sondern auch echte Geschäfte untereinander abgeschlossen.
Von mir aus kann das alles auch mit Flokati oder goldenem Vlies ausgelegt sein und vestalische Jungfrauen mit flaumigen Gänschen den Hintern putzen, ich ziehe Ruhe und Abgeschiedenheit vor. Dann kann das Scheißhaus auch ein poetischer Ort sein.
Kacheln können keine Heimat sein.
Nein, geflieste Wände und Böden, das glatte Porzellan der Wasch- und Toilettenbecken, der Geruch parfümierter Reinigungsmittel umschließen keinen poetischen Ort. Sitzen, einfach sitzen, vor mich hin und in mich hinein sinnen, das konnte ich wirklich nur auf dem alten Plumpsklo hinter dem Schweinekoben und dem Hühnerstall.
Einen Schlagertext habe ich dort geschrieben, meine Oma aus Arizona, wer kennt sie nicht, sämtliche Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Rom gewonnen, einen Maoistischen Brüderbund gegründet, der die Bundestagswahlen 1965 gewinnen sollte, meine Flucht in die Tschechoslowakei geplant, Schauspieler wollte ich dort werden.
Das Schwein wurde jedes Jahr geschlachtet, bis die Koteletts bei Mönchs Karl so billig wurden, daß es sich nicht mehr lohnte, das Meerschweinchen lag eines Morgens tot im Käfig, die Hühner wurden von Gänsen platt gesessen, der Schäferhund biß mir in Kopf, als ich ihm seinen Freßnapf brachte und wurde heimlich eingeschläfert, die Katze vom Vermieter, dem Kreisjägermeister, lachend erschossen. Die Kate selbst wurde vor einem Jahrzehnt abgerissen, von allen Möbeln darin überstand einzig der Bücherschrank alle Umzüge, zuletzt nicht mehr im Wohnzimmer, aber immer noch voll mit Büchern, Schuhkartons mit Fotos, abgeheftetem Schriftverkehr und anderen Erinnerungsstücken, nach dem Tod meiner Mutter hatte niemand Platz für ihn und er landete im Container.
Als die zweite Halbzeit meines Lebens angepfiffen wurde, war ich gerade auf dem Klo, vertieft in Max Goldts Titanic=Kolumne. Ich gebe zu, auch nach dem Wegzug aus der Kate habe ich auf abweisend kalt gekachelten Toiletten gelesen und mache das auch heute noch, am liebsten die Briefe an den Leser und die Humorkritik, die erledigten Fälle und Max Goldts Kolumne gibt es ja schon lange nicht mehr, aber es ist weit, weit entfernt vom Lese- und Gedankenparadies des guten alten Plumpsklos.
Sein Beichtvater Antonius Enninga hatte es ihm so schonend wie möglich nahegebracht: Wenn er wirklich noch vor seinem 50. Geburtstag die Frau fürs Leben finden wolle, sei Beistand von allerhöchster Stelle notwendig. Also machte sich Werner Ehmig, Inhaber der Bäckerei-Konditorei-Café Grünhage vorm. Mohrenstecher im Herzen von Cloppenburg, vor zwölf Jahren auf zur Pilgerfahrt nach Rom, blieb aber in einem Straßencafé in Siena hängen.
Dort spielte gegen gesalzenen Aufpreis ein Stehgeiger auf, den alle nur Maestro nannten, angeblich war er in jüngeren Jahren in den größten Konzertsälen der Welt aufgetreten, lockte mit seinen Tönen die gesamte Frauenwelt in Hörweite herbei, zauberte ihr begierig glänzende Augen und gewährte als krönenden Abschluss der Signorina seiner Wahl die Gunst für eine Nacht. Ja, so eine Attraktion könnte auch in Cloppenburg ein leeres Café füllen und in eine Goldgrube verwandeln. Ehmig sprach den Maestro an und weil der Cloppenburg mit Göteborg verwechselte, schlug er ein und erfüllte zwei Wochen später die frühsommerliche Abendluft vor dem Café Grünhage erstmals mit dem zarten Klang seiner Violine.
Aber das Rezept schien in der norddeutschen Luft nicht zu wirken, die auf die Straße geschafften Tische und Stühle blieben gähnend leer, nur einige einsame Münzen verirrten sich in den Kasten des Maestros. Das änderte sich schlagartig, als sich in dessen Hose die Annäherung Mareikes, der ungekrönten Busenkönigin Cloppenburgs, mit einer warmen kräftigen Ausbeulunq ankündigte. Mitten im Strich hielt der Maestro inne, ließ seinen Bogen in einen Haufen Hundekot fallen, kramte aus einem Geheimfach seinen Spezialbogen hervor – von Colani persönlich entworfen und von Satan in Gestalt eines päpstlichen Kammerdieners gesegnet, mit einem aus Elfenbein gearbeiteten Phallus als Spitze – nahm die Melodie an der unterbrochenen Stelle wieder auf, verbeugte sich dämonisch lächelnd vor Mareike und wies ihr mit einem knappen Kopfnicken einen Platz an Tisch vier an.
Schon mit dem ersten Takt hatte der Zauberbogen sie in seinen Bann gezogen, mit dem vierten die Macht vollständig übernommen, vor Geilheit zitternd ließ sie sich auf dem Plastiksessel niedersinken, bestellte willenlos einen Campari zum doppelten Preis nach dem nächsten, während der Maestro immer enger um sie herumtänzelte, immer enger, der Geruch seines Geschlechts ihre Erregung ins geradezu Hysterische steigerte, der Dämon des Bogens auch den letzten Platz mit katholischen, ja sogar mennonitischen Unterleibern füllte und der Konditormeister das Schauspiel, das ihm die Kasse füllte, händereibend verfolgte. Eine geschlagene Stunde musste Mareike sich so foltern lassen, bis der Maestro endlich das Vorspiel beendete und sie ihm in die Dachkammer folgen durfte.
Auch an den nächsten Tagen kam der Colani-Bogen zum Einsatz, auf Mareike folgte die Apothekerin, auf die Apothekerin Taxi-Gundel, auf Taxi-Gundel Enningas Haushälterin, und damit waren alle Dämme gebrochen, Cloppenburgs Frauenwelt kam immer früher, um sich einen Platz in der Nähe des Maestros zu sichern, auch eine nochmalige Verdoppelung der Preise konnte sie nicht schrecken, so ging es nun drei Wochen und könnte noch bis zum heutigen Tag andauern, wären dann nicht die Tönnsingmeyer-Zwillinge aufgetaucht, 14 Jahre jung, unschuldig und so blond, daß der Maestro sich im erträumten Göteborg wähnte.
Die Zwillinge waren zwar nur durch ihre Haarspangen zu unterscheiden, aber der Dämon des Bogens war so böswillig, den Kompaß in der Hose des Maestros nur auf Julia zu richten, die aber ging jeden Morgen vor der Schule zur Beichte und hatte schon vor der Kommunion Herz und Geschlecht einzig Jesu geweiht und war deshalb immun, während sich Franziska schon beim ersten Ton, der ihr Ohr erreichte, die Kleider vom Leibe riß, ihre kleinen festen Brüste gegen den Maestro drängte, dann vor ihm niederkniete und an seinem Hosenbund nestelte. Der stieß sie von sich, kniete seinerseits vor Julia nieder und spielte nur noch für sie. Aber welche Leidenschaft er auch in seinen Strich legte, der Dämon konnte und konnte keine Gewalt über sie erringen. Nach zwei Stunden gab der Maestro völlig erschöpft auf, legte sich allein ins Bett und verrichtete zum ersten Mal nach 14 Jahren wieder Handarbeit.
Am nächsten Tag waren die Tönnsingmeyer -Zwillinge die ersten in der Arena, das Schauspiel wiederholte sich ebenso wie an den darauffolgenden Tagen, bis die Zwillinge am siebten Tag auf die Idee verfielen, ihre Haarspangen zu tauschen. Da war der Maestro schon so verwirrt vom ungestillten Verlangen, daß er den Betrug nicht merkte, nach vier Minuten mit Franziska in der Dachkammer verschwunden und nach weiteren neun Sekunden fertig war. Franziska sammelte schwer enttäuscht ihre Kleider ein, beschloß, für den Rest ihres Lebens auf das eklige Gespritze zu verzichten, und da sie die leidige Angelegenheit unversehrt überstanden hatte, wurde sie freudig bei den Ursulinerinnen aufgenommen. Julia, von ihrer Schwester darüber aufgeklärt, wie banal und wenig aufregend das Geschlechtsleben in Wirklichkeit ist, ließ sich eine Woche später von einem Kossovo-Albaner für sein Bordell in Vechta anwerben. Ehmig gab seine Heiratspläne auf, der Maestro entsagte Musik und Frauen, warf seine Geige samt Colani-Bogen auf den Sperrmüll, zog ein Stockwerk tiefer ein und hilft nun in der Woche hin und wieder in der Backstube aus. Und Sonntag für Sonntag sitzen die beiden in Unterzeug bei einer Flasche Jever und schauen Sliders.