Steinitz, Gott und ein falscher Hauptmann

Seit nunmehr einhundertvierundzwanzig Jahren sitzt der Schachweltmeister Wilhelm Steinitz in seinem Schmollwinkel und ist böse auf Gott, weil der sich trotz des großzügigen Angebots, ihm einen Zug und einen Bauern vorzugeben, standhaft weigert, auch nur eine einzige Partie gegen den Erfinder der Telefonie ohne Drähte und Apparate zu spielen, und lieber den Schuhmachergesellen und Hochstapler Friedrich Wilhelm Voigt beim Offiziersskat ein ums andere Mal über den Tisch zieht.

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Gedanken eines alten Mannes beim Scheißen

»Ein Klo kann eine Heimat sein«
(zu singen nach der Melodie von Rainer Pietsch)
(die deutscheste aller Hymnen, die je auf einem Grand Prix geschmettert wurde)

»Ein Scheißhaus kann eine Heimat sein.«

Das hat keinen Rhythmus und keine Melodie. Das kann man nicht singen. Das ist Alltagsprosa. So lapidar wie möglich zu sprechen. Nebenbei. Wie die Verrichtung.

SCHEISZHAUS, Schithus, Neutrum, Kloake, Merdatorium, Tristega Forica; wofür die verhüllenden Ausdrücke Abort, Abtritt, in älterer Sprache heimliches Gemach, oder nur das Gemach, Sekret, Privet, heimlicher Ort und ähnliches üblich sind, in neuerer Sprache WC, Toilette, Klosett, Klo.

Mein Vater sagte nie Klo, nur Scheißhaus, einfach Scheißhaus; vielleicht noch, wenn Besuch da war: wo der Kaiser zu Fuß hingeht.

Durch die Waschküche hindurch links hinter dem Schweinekoben und dem Verschlag für unsere zehn Hühner, das linke Nest der Lieblingsschlafplatz unserer Katze Elke: das Plumpsklo mit einer Jauchegrube dahinter. Rechterhand ein Gang: ein Meerschweinchenkäfig, Fahrräder, ein Anhänger, das Moped meines Vaters, eine rote NSU-Weltmeister; einen halben Meter hinunter ein ehemaliger Stall für ein oder zwei Kühe, in dem Torf, Brennholz und Briketts lagerten und der Schäferhund angebunden war

Immer, wenn jemand »Scheißhaus« sagt, wird mir warm ums Herz. Das ist der Klang der Heimat in der Heimat: die Abgeschiedenheit, das Dritteldunkel, die von keinem Desinfektionsmittel verätzten vertrauten Gerüche, vom ausgeblichenen Holz des Sitzes mit seinen von der Zeit abgerundete Kanten, von den Zeitungsfetzen, die als Arschabwisch dienten.

Rodrigo Borgia, besser bekannt als Alexander VI:, genoß den Luxus eines Bediensteten, der dieses Geschäft an ihm per manum erledigte.

Rabelais behauptet in »Gargantua und Pantagruel«, es gebe keinen besseren Arschwisch als ein flaumiges junges Gänschen: »… wenn man es nämlich so faßt, daß ihm der Kopf zwischen die Beine zu liegen kommt. Ihr könnt mir das auf Ehre und Gewissen glauben. Die Weichheit des Flaums wie die natürliche Wärme des Tiers tun dem Arschloch ganz besonders wohl, welches Gefühl sich dann sofort dem Mastdarm und den übrigen Eingeweiden mitteilt und von da zu Herz und Hirn weiterdringt.«

Gegenüber diesen beiden dekadenten Varianten hatten die Zeitungsfetzen auf unserem Plumpsklo einen gewaltigen Vorteil: ich konnte sie lesen.

Alte Zeitungen landeten bei uns auf dem Scheißhaus oder zum Anmachen im Kohleofen; das tat mir in der Seele weh, weg, hinüber, jede Zeile, die ich noch nicht gelesen hatte, für immer in Rauch aufgegangen, perdu, mir ein für alle Mal vorenthalten; ich mußte schneller sein, wenn ich auf dem Klo saß, erst einmal alles lesen, ertrank es in der Jauchegrube, war es zu spät.

»Den ganzen Tach aufm Scheißhaus sitzen und lesen. Was soll aus dem Jungen bloß werden?«

Meine Sozialisation als Leser hat sich auf dem alten Plumpsklo hinterm Hühnerstall abgespielt, sie begann Ende März 1956, zwei Wochen vor meinem ersten Schultag. Die Fibel lag auf dem Küchentisch, Hans und Lotte, mein Vater mußte mich in das Geheimnis der Zeichen einführen, die Geschichten erzählen konnten, ich quengelte, bis er es tat.

Von diesem Tag an las ich alles, was mir in die Finger kam, Haferflockenpackungen, die Rundfunkzeitung, Hören und Sehen, die Bücher vom Lesering im Bücherschrank. »Wie Feuer unter meinen Nägeln« hieß der Fortsetzungsroman in der Hören und Sehen, den ich nicht lesen sollte, ich sei noch zu jung dafür, so etwas entschied meine Mutter, das beflügelte mich erst recht. Von da an nahm ich alles, was eventuell nicht altersgemäß sein konnte, mit aufs Scheißhaus und las es da – in aller Ruhe.

Meine Eltern sortierten die Bücher, die ich nicht lesen durfte und die gerade deshalb meine Neugier weckten, nach unten rechts im Schrank außerhalb des Sichtfelds der Türverglasung: Norman Mailer, Die Nackten und die Toten, Remarque, Im Westen nichts Neues, Dantes Göttliche Komödie, mit der konnte ich mit neun oder zehn noch nichts anfangen, bei den anderen nicht verstehen, warum sie nichts für mich sein sollten.

So wurde das Scheißhaus der Ort, an dem sich mir die wirkliche Welt öffnete, die erbärmliche, die Niederungen, wo man knietief watet, manchmal bis zum Hals, in dem Unflat, aus dem sie geformt wurde, diese Welt.

Die Selbstverwirklichung des Menschen kann es nur auf dem Klo geben. Es  darf aber niemand gegen die Türe wummern und die Muße stören.

Rex Gildo stürzte sich aus dem Fenster, als die Polizei an die Lokustüre pochte und ihn aufforderte, aufzumachen, ich gehe regelmäßig in die Luft, wenn ich gerade gemütlich dasitze, vor mich hin sinniere und irgendjemand wagt es, zu klingeln.

Etzold schiß damals grundsätzlich nur bei offener Tür und unterhielt sich mit der gesamten WG, gut, der ist kein Maßstab, der hat inzwischen Sarrazin auf dem Nachttisch liegen und schickt mir regelmäßig Videos mit irgendwelchem Verschwörungskram. Überhaupt, gemeinschaftliches Scheißen, auf dem pfadfinderischen bzw. soldatischen Donnerbalken, dabei auch noch zu rauchen oder einen Joint kreisen zu lassen und Latrinenparolen zu verbreiten, das ist nichts für unsereinen.

Negotium conficere, sein Geschäft verrichten, heißt es auf Lateinisch. Im alten Rom waren öffentliche Latrinen üblich, wo die Toilettengänger in geselliger Runde zusammensaßen und gemütlich miteinander plauderten. Für die Oberschicht gab es spezielle Luxuslatrinen inklusive Marmorsitzen und Fußbodenheizung. In dieser Atmosphäre hat man nicht nur sein großes oder kleines Geschäft verrichtet, sondern auch echte Geschäfte untereinander abgeschlossen.

Von mir aus kann das alles auch mit Flokati oder goldenem Vlies ausgelegt sein und vestalische Jungfrauen mit flaumigen Gänschen den Hintern putzen, ich ziehe Ruhe und Abgeschiedenheit vor. Dann kann das Scheißhaus auch ein poetischer Ort sein.

Kacheln können keine Heimat sein.

Nein, geflieste Wände und Böden, das glatte Porzellan der Wasch- und Toilettenbecken, der Geruch parfümierter Reinigungsmittel umschließen keinen poetischen Ort. Sitzen, einfach sitzen, vor mich hin und in mich hinein sinnen, das konnte ich wirklich nur auf dem alten Plumpsklo hinter dem Schweinekoben und dem Hühnerstall.

Einen Schlagertext habe ich dort geschrieben, meine Oma aus Arizona, wer kennt sie nicht, sämtliche Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Rom gewonnen, einen Maoistischen Brüderbund gegründet, der die Bundestagswahlen 1965 gewinnen sollte, meine Flucht in die Tschechoslowakei geplant, Schauspieler wollte ich dort werden.

Das Schwein wurde jedes Jahr geschlachtet, bis die Koteletts bei Mönchs Karl so billig wurden, daß es sich nicht mehr lohnte, das Meerschweinchen lag eines Morgens tot im Käfig, die Hühner wurden von Gänsen platt gesessen, der Schäferhund biß mir in Kopf, als ich ihm seinen Freßnapf brachte und wurde heimlich eingeschläfert, die Katze vom Vermieter, dem Kreisjägermeister, lachend erschossen. Die Kate selbst wurde vor einem Jahrzehnt abgerissen, von allen Möbeln darin überstand einzig der Bücherschrank alle Umzüge, zuletzt nicht mehr im Wohnzimmer, aber immer noch voll mit Büchern, Schuhkartons mit Fotos, abgeheftetem Schriftverkehr und anderen Erinnerungsstücken, nach dem Tod meiner Mutter hatte niemand Platz für ihn und er landete im Container.

Als die zweite Halbzeit meines Lebens angepfiffen wurde, war ich gerade auf dem Klo, vertieft in Max Goldts Titanic=Kolumne. Ich gebe zu, auch nach dem Wegzug aus der Kate habe ich auf abweisend kalt gekachelten Toiletten gelesen und mache das auch heute noch, am liebsten die Briefe an den Leser und die Humorkritik, die erledigten Fälle und Max Goldts Kolumne gibt es ja schon lange nicht mehr, aber es ist weit, weit entfernt vom Lese- und Gedankenparadies des guten alten Plumpsklos.

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Cloppenburger Märchenstunde

Sein Beichtvater Antonius Enninga hatte es ihm so schonend wie möglich nahegebracht: Wenn er wirklich noch vor seinem 50. Geburtstag die Frau fürs Leben finden wolle, sei Beistand von allerhöchster Stelle notwendig. Also machte sich Werner Ehmig, Inhaber der Bäckerei-Konditorei-Café Grünhage vorm. Mohrenstecher im Herzen von Cloppenburg, vor zwölf Jahren auf zur Pilgerfahrt nach Rom, blieb aber in einem Straßencafé in Siena hängen.

Dort spielte gegen gesalzenen Aufpreis ein Stehgeiger auf, den alle nur Maestro nannten, angeblich war er in jüngeren Jahren in den größten Konzertsälen der Welt aufgetreten, lockte mit seinen Tönen die gesamte Frauenwelt in Hörweite herbei, zauberte ihr begierig glänzende Augen und gewährte als krönenden Abschluss der Signorina seiner Wahl die Gunst für eine Nacht. Ja, so eine Attraktion könnte auch in Cloppenburg ein leeres Café füllen und in eine Goldgrube verwandeln. Ehmig sprach den Maestro an und weil der Cloppenburg mit Göteborg verwechselte, schlug er ein und erfüllte zwei Wochen später die frühsommerliche Abendluft vor dem Café Grünhage erstmals mit dem zarten Klang seiner Violine.

Aber das Rezept schien in der norddeutschen Luft nicht zu wirken, die auf die Straße geschafften Tische und Stühle blieben gähnend leer, nur einige einsame Münzen verirrten sich in den Kasten des Maestros. Das änderte sich schlagartig, als sich in dessen Hose die Annäherung Mareikes, der ungekrönten Busenkönigin Cloppenburgs, mit einer warmen kräftigen Ausbeulunq ankündigte. Mitten im Strich hielt der Maestro inne, ließ seinen Bogen in einen Haufen Hundekot fallen, kramte aus einem Geheimfach seinen Spezialbogen hervor – von Colani persönlich entworfen und von Satan in Gestalt eines päpstlichen Kammerdieners gesegnet, mit einem aus Elfenbein gearbeiteten Phallus als Spitze – nahm die Melodie an der unterbrochenen Stelle wieder auf, verbeugte sich dämonisch lächelnd vor Mareike und wies ihr mit einem knappen Kopfnicken einen Platz an Tisch vier an.

Schon mit dem ersten Takt hatte der Zauberbogen sie in seinen Bann gezogen, mit dem vierten die Macht vollständig übernommen, vor Geilheit zitternd ließ sie sich auf dem Plastiksessel niedersinken, bestellte willenlos einen Campari zum doppelten Preis nach dem nächsten, während der Maestro immer enger um sie herumtänzelte, immer enger, der Geruch seines Geschlechts ihre Erregung ins geradezu Hysterische steigerte, der Dämon des Bogens auch den letzten Platz mit katholischen, ja sogar mennonitischen Unterleibern füllte und der Konditormeister das Schauspiel, das ihm die Kasse füllte, händereibend verfolgte. Eine geschlagene Stunde musste Mareike sich so foltern lassen, bis der Maestro endlich das Vorspiel beendete und sie ihm in die Dachkammer folgen durfte.

Auch an den nächsten Tagen kam der Colani-Bogen zum Einsatz, auf Mareike folgte die Apothekerin, auf die Apothekerin Taxi-Gundel, auf Taxi-Gundel Enningas Haushälterin, und damit waren alle Dämme gebrochen, Cloppenburgs Frauenwelt kam immer früher, um sich einen Platz in der Nähe des Maestros zu sichern, auch eine nochmalige Verdoppelung der Preise konnte sie nicht schrecken, so ging es nun drei Wochen und könnte noch bis zum heutigen Tag andauern, wären dann nicht die Tönnsingmeyer-Zwillinge aufgetaucht, 14 Jahre jung, unschuldig und so blond, daß der Maestro sich im erträumten Göteborg wähnte.

Die Zwillinge waren zwar nur durch ihre Haarspangen zu unterscheiden, aber der Dämon des Bogens war so böswillig, den Kompaß in der Hose des Maestros nur auf Julia zu richten, die aber ging jeden Morgen vor der Schule zur Beichte und hatte schon vor der Kommunion Herz und Geschlecht einzig Jesu geweiht und war deshalb immun, während sich Franziska schon beim ersten Ton, der ihr Ohr erreichte, die Kleider vom Leibe riß, ihre kleinen festen Brüste gegen den Maestro drängte, dann vor ihm niederkniete und an seinem Hosenbund nestelte. Der stieß sie von sich, kniete seinerseits vor Julia nieder und spielte nur noch für sie. Aber welche Leidenschaft er auch in seinen Strich legte, der Dämon konnte und konnte keine Gewalt über sie erringen. Nach zwei Stunden gab der Maestro völlig erschöpft auf, legte sich allein ins Bett und verrichtete zum ersten Mal nach 14 Jahren wieder Handarbeit.

Am nächsten Tag waren die Tönnsingmeyer -Zwillinge die ersten in der Arena, das Schauspiel wiederholte sich ebenso wie an den darauffolgenden Tagen, bis die Zwillinge am siebten Tag auf die Idee verfielen, ihre Haarspangen zu tauschen. Da war der Maestro schon so verwirrt vom ungestillten Verlangen, daß er den Betrug nicht merkte, nach vier Minuten mit Franziska in der Dachkammer verschwunden und nach weiteren neun Sekunden fertig war. Franziska sammelte schwer enttäuscht ihre Kleider ein, beschloß, für den Rest ihres Lebens auf das eklige Gespritze zu verzichten, und da sie die leidige Angelegenheit unversehrt überstanden hatte, wurde sie freudig bei den Ursulinerinnen aufgenommen. Julia, von ihrer Schwester darüber aufgeklärt, wie banal und wenig aufregend das Geschlechtsleben in Wirklichkeit ist, ließ sich eine Woche später von einem Kossovo-Albaner für sein Bordell in Vechta anwerben. Ehmig gab seine Heiratspläne auf, der Maestro entsagte Musik und Frauen, warf seine Geige samt Colani-Bogen auf den Sperrmüll, zog ein Stockwerk tiefer ein und hilft nun in der Woche hin und wieder in der Backstube aus. Und Sonntag für Sonntag sitzen die beiden in Unterzeug bei einer Flasche Jever und schauen Sliders.

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Buttercremetorte

Wie jeden Samstag drückte sie Punkt halb vier auf den Klingelknopf, wie jeden Samstag streute er gerade noch die letzten gerösteten Mandeln auf die Buttercremetorte, wie jeden Samstag standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn, als er ihr den Begrüßungskuß aufdrückte, und wie jeden Samstag bat er sie, sich schon einmal umzuziehen, er müsse nur noch schnell den Kaffee aufsetzen, dann sei aber alles bereit.

Während er eine Filtertüte Größe 4 aus der Packung nahm, in den Filterbehälter setzte, sorgfältig sechs Meßlöffel abzählte, exakt einen Liter Wasser und keinen Millimeter mehr oder weniger in die Maschine schüttete und mit einem zufriedenen »So!« den Knopf drückte, zog sie sich in seinem Schlafzimmer aus und streifte die weiße Kittelschürze aus Dederon über, die er auf dem Bett für sie bereitgelegt hatte, nur die Kittelschürze, nichts darunter, so wollte er es und so mochte sie es auch, jedenfalls, wenn sie mit ihm hier am Samstag zusammen war.

Wenn sie dann aus dem Schlafzimmer kam, sie ließ sich extra viel Zeit, damit er nicht in Verlegenheit kam, war alles schon fertig. Die Kaffeetassen, Meißner Porzellan, Kobaltblau, waren einander gegenüber auf dem niedrigen Couchtisch eingedeckt, der Teller mit der Buttercremetorte, in zwölf gleich große Stücke geschnitten, stand vor ihrem Platz, die Kanne mit dem Kaffee, auch ein Erbstück in Kobaltblau, in der Mitte auf einem geklöppelten Deckchen.

Sie setzte sich in den apricotfarbenen Cocktailsessel, er schenkte die erste Tasse ein und setzte sich dann in den blauen, wie jeden Samstag, er: »Man muß den Kaffee trinken, solange er heiß ist«, wie jeden Samstag, sie: »So ist es, lauwarm schmeckt der Kaffee nicht, und auch die Liebe«, wie jeden Samstag. Sie schlürften jeden Schluck hörbar und ließen ein »Aahh!« folgen, sobald er die Kehle hinuntergeflossen war, ein »Aahh!« irgendwo zwischen Seufzer und lustvollem Stöhnen. Jeder von ihnen trank vier Tassen, wie jeden Samstag, das letzte »Aahh!« besonders tief und lustvoll.

Beide setzten ihre Tasse nach dem letzten Schluck gleichzeitig ab, nach drei Jahren Übung waren ihre Bewegungen synchron, schoben sie in die Mitte zur Kaffeekanne, sie fragte: »Darf ich jetzt?« und er nickte: »Ich bitte darum«, wie jeden Samstag. Sie öffnete die beide oberen Knöpfe ihrer Kittelschürze, damit er sich an ihren Brüsten satt sehen konnte, Körbchen D, darauf war sie stolz, während sie die Buttercremetorte allein vertilgte, so, wie es sein Wunsch war.

Mit ihren bloßen Händen griff sie hinein, riß große Stücke heraus, stopfte sie sich in den Mund, drückte nach, wenn sie nicht schnell genug darin verschwinden wollten, »Mmmh« und »Ohhh« und »Aahh«, ihre Begeisterungslaute wurden durch die Biskuitbuttercrememasse in ihrer Mundhöhle ziemlich gedämpft, er wußte nicht, wohin er schauen sollte, auf ihre Titten oder auf ihren Schlund, der gierig Stück für Stück verschlang, und die Erregung teilte sich ihm warm und kräftig mit. Endlich, wenn nur noch ein Stück übrig war, öffnete sie den Kittel vollends, und verschmierte den Rest der Torte unter Grunzlauten auf Brüste und Bauch, er schob den Couchtisch beiseite, kniete sich vor ihren Sessel und schleckte die süße Masse von ihr, bis alles sauber war. Dann zog sie seinen Kopf heran, preßte ihn an sich und drückte ihn nach unten: »Weitermachen, mein Schatz, ich bin noch nicht fertig.« Morgen war Sonntag. Morgen war er dran. Da besuchte er sie und sie machte, wie jeden Sonntag, Thüringer Klöße, Rotkraut und Rostbratwürste. Und für Nachtisch würde er wieder das Glas mit dem Born-Senf, mittelscharf, aus ihrem Kühlschrank holen, auf seinen Riemen schmieren und sie durfte ihn abschlecken.

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Sprachkritik

Während »Ficken« die körperliche Begegnung auf die Ebene mechanischer Reizung hinabzerrt, wohnt »Vögeln« etwas beschwingt Flatterndes inne.

Agape. Eros. Philia. Was man in der Antike noch fein säuberlich getrennt hat, wird heutzutage und hierzulande als »Liebe« zu einem undefinierbaren Brei vermengt.

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Realität

In der quietschenden Tür offenbart sich die Realität.

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Heimatkunde

Urstromtal
Grundmoräne
Endmoräne
Marsch
Geestkante

Wörter als schlechte Verstecke,
zwölf Jahre,
die sich in Erdzeitaltern auflösen

Heimat
Kiesgruben
Rübenäcker
Kartoffelfeuer
Völkerball

Miefige Tünche auf dem Nazischrott in den Hirnen ringsumher:

Bauern
Lehrer
Bürgermeister
alte Kameraden
Schützenbrüder

PÄD-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DES ROHRSTOCKS

Der Bambus zersplittert auf dem Rücken. Heiner weint und schleicht nach Hause. Der erste Schultag ist zu Ende, wir wissen jetzt Bescheid und das Leben kann beginnen.

MUH-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER KUH

Nicht nur im Stall, auch bei den Mädchen im Konfirmandenunterricht tut sich schon etwas: züchtige Blicke, Polster in den Blusen, eine Mark für ein Bild aus dem Wäschefach meines Vaters

Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, fünfmal Nick, der Weltraumfahrer, dreimal Tibor, zweimal Sigurd

Icke steigt auf den Stuhl, um dem Pastor auf die Glatze zu spucken, der steigt auf den Tisch.

Unentschieden.

Icke heißt so, weil er aus Berlin kommt, am Sonnabend dreht er den Schwanz der angestochenen Sau, damit das Blut schneller fließt.Blut in der Schüssel. Der Trichinenbeschauer lacht. Die Männer trinken Doppelkorn.

Olympia hinter dem Haus: alle sind Martin Lauer, ein rostiger Nagel in der Hürde, Gerhard reißt sich das linke Ei auf, Krankenwagen: Blut auf dem Feldweg.

Das Kind soll nicht von ihm sein, Richards Vater sticht zu, sechsundzwanzigmal mit dem Taschenmesser: Blut auf dem Spargel. Das Dorf steht in der Bild-Zeitung.

Der alte Runge und Susanne Kray gehen zum letzten Mal in ihrem Leben über die Straße: Blut auf dem Asphalt.

Schmidts Brie, der Säufer, auch, zwei Promille: Der Kopf ist Matsch.

Ein Heldentod!

Heldengedenken am Sonntag:

Alle acht Klassen strammgestanden vor dem Kriegerdenkmal, die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun, langsam, im Tempo der Tränen.

Hände
Beine
Hoden
Heimat
Krieg

Alles ver­loren!

Das Fernweh bleibt:„Komm, steig in mein Boot“, „Vor dem Frauenhaus in Algier“, „Seemann, laß das Träumen“

Das Heimweh auch: „Dort wo die Blumen blüh‘n, dort wo die Täler grün, dort war ich einmal zu Haus“

Steinhauers Gasthaus: Mein Vater gibt mir eine Cola aus und 20 Pfennig für die Musikbox, ich drücke „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, mein Vater singt mit, der Kunstmaler und Alt=Nazi am Nebentisch weint dazu und gibt mir eine Mark.

Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, viermal Nick, dreimal Silberpfeil, zweimal Sigurd, nur einmal Tibor.

Schützenfest: Am Sonntagnachmittag spielt die Feuerwehrkapelle, die Nummer neun, was sonst, aber schnell, für das Tanzbein

Stacheldraht
Adenauer
Kennedy
Kubakrise
Faschismus

Faschismus, so tauft mein Vater die Kuh, die meinem Bruder den Dünnpfiff in scharfem Strahl aufs Auge scheißt.

Die Jungs so früh mit Politik verderben, ereifern sich Onkel und Tanten: Wo soll das enden? Bei Hottentottenmusik und Veitstänzen, da sind sich alle einig.

Rockin‘ Bones an der Badestelle, Bernd Goschke, der Lehrersohn, ein Halbstarker, der nicht ins Dorf paßt, und seine Band, Gitarre, Besenstiel und Benzinkanister, die Kühe glotzen, meine Füße zucken.

Im Jahresrückblick zwischen Weihnachten und Neujahr im Radio wird der Rock‘n‘Roll für tot erklärt, schade.

Erntefest zwei Jahre später: die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun als Twist, mein Bruder und die Cousinen tanzen, Hula-hoop ohne Reifen, an der Schießbude, zwanzig Pfennig der Schuß, Plastikblumen und bunte Bilder von vier jungen Männern mit Pilzköpfen, John, Paul, George und Ringo, die Namen kann ich schon, die Texte nicht, meine Haare viel zu kurz: Pißpottschnitt von Onkel Gerd, dem Briefträger mit der verkrüppelten Hand.

CAMP-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER MUNDORGEL

Die Rohrstöcke werden eingemottet, gepflegtes Haar darf auch lang sein.

Die frechen Schwestern aus der Baracke schleppen ihren Plattenspieler in unser Zelt: „Skinny Minnie“, „You Really Got Me“ und „Hippy Hippy Shake“.

CVJM: Guri, der brave Sohn des anderen Lehrers ist unser Führer.

Chai im Kessel über dem Lagerfeuer, Heinz pinkelt gegen den Elekrozaun und ist ein Held. Unser Führer zeigt uns, wie man vorschriftsmäßig wichst, kommt aber nicht zum Ende, Skilly muß ihn lutschen, darf aber Klopapier drumherum legen …

Süße Jugend, wo bist du geblieben?

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Erotik und Fußpilz

Oma kauft sich einen Nazi und Opa schweigt dazu.
Erotik und Fußpilz!

Jack Kerouac pißt sich vor Freude in die Unterhose.
Erotik und Fußpilz!

Goethe wirft ein Tintenfaß an die Wand!
Erotik und Fußpilz!

Und ein Hund spuckt zurück!
Erotik und Fußpilz!

Und dann kommt der Sohn aus Ostrhauderfehn.

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Frühlingsgefühle

Der Camembert der Liebe
zerläuft im Sonnenschein.
Das Windrad meiner Triebe
darf nicht gefesselt sein.

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Guten Morgen

Die geballte Ladung
Elend dieser Welt
sonntags in der Früh‘
Wen soll das beeindrucken
vor dem ersten Kaffee?

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